Zurück zur Startseite

Rightwatching - den rechten Rand im Auge behalten

Wir helfen dabei, rechte Gewalttaten auszuwerten.

Hintergrund: Wiedererstarken rechter Ideologie

In Deutschland kam es in den letzten Jahren zu einem Wiedererstarken rechter Ideologie[1]. Dies manifestiert sich in fast allen öffentlichen Räumen: Im Netz[2], den Parlamenten[3] und ganz konkret in rechter Gewalt überall in Deutschland. Hierbei bilden die NSU-Morde, Übergriffe auf Geflüchtete[4], der Anschlag in Halle, das Attentat von Hanau und der Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke nur die Spitze des Eisbergs.

Offizielle Polizeistatistiken in Deutschland erfassen zwar rechte Gewalt, doch diese hat diverse Schwachpunkte. Die Polizeistatistiken werden auf Bundesländerebene aggregiert, sodass regionale Analysen der Probleme nicht ohne weiteres möglich sind. Die Auswertung erscheint nur jährlich und Vorfälle werden nicht als Zeitreihe vorgestellt, sodass Wechselbeziehungen mit anderen Phänomenen nicht zu entdecken sind. Hinzu kommt noch, dass weiten Teilen der Exekutive Misstrauen entgegengebracht werden muss, wenn es um die richtige Erfassung und Aufklärung von rechter Gewalt geht.[5]. Ein prominentes Beispiel ist die NSU 2.0 Affäre. Dort wurden Kontaktdaten aus Polizeidatenbanken entwendet und für Morddrohungen verwendent. Zum Beispiel gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız. Dies ist besonders problematisch durch die Kombination mit der Verweigerung diverser Innenministerien Rechtsradikalismus und Rassismus in der Polizei systematisch untersuchen zu lassen. Das Problem kann also nur mit einem breiten Engagement aus der Zivilgesellschaft erfasst und angegangen werden.

Ob Vereine die Betroffenen rechter Gewalt helfen oder bedrohte Communities selbst – viele zivilgesellschaftliche Initiativen schauen auf den rechten Rand. So gibt es zum Beispiel die staatlich finanzierten, aber unabhängigen Vereine auf Bundesländerebene, die im Dachverband VBRG zusammengefasst sind. Die Daten der Mitglieder werden jährlich zusammengetragen, was wieder ähnliche Probleme wie bei der Polizeistatistik mit sich bringt. Oft genug wird rechte Gewalt aber auch überhaupt nicht systematisch erfasst.

Chroniken rechter Gewalt

Für das Projekt haben wir 22 Chronologien rechter Gewalt erfasst, die wir für die Entwicklung unserer Anwendung benutzt haben. Wir erheben weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch lassen sich diese Chronologien immer vergleichen da zum Teil sehr unterschiedliche Kategorien erfasst werden. Dennoch finden wir es sinnvoll zu wissen, wer wann und wo systematisch auf den rechten Rand blickt. Insgesamt betrachten wir 30 Organisationen, die rechte Gewalt systematisch beobachten (oder dies auf ihren Webseiten angeben), wovon nur 22 eine öffentliche Chronik haben.

Wann wird hingeschaut?

Diese Grafik zeigt den Zeitraum der Chroniken, gruppiert nach Dachverband oder Zugehörigkeit. Ersichtlicht wird, dass Chroniken der Beratungsstellen unter dem VBRG seit dem Jahr 2000 existieren, allerdings gibt es auch einige wenige die bereits seit den 90ern mitschreiben.

Zeitraum der Chroniken, gruppiert nach Dachverband oder Zugehörigkeit

Wo wird hingeschaut?

Die meisten Organisationen decken nach eignenen Angaben ganze Bundesländer ab. Die 22 Chroniken sind ungleich verteilt in Deutschland. Auffällig ist die hohe Anzahl an Watchdogs rechter Gewalt in Mitteldeutschland.

Zeit und Ort der Chroniken

Diese kurze Studie allein zu Zeit und Ort der Chroniken zeigt: Es gibt genügend Zeiträume und Orte an denen rechte Gewalt nicht oder unsystematisch erfasst wird. An dieser Stelle setzt Rightwatching an.

(Der volle Artikel ist hier zu lesen)

Andere Projekte

Daten zu rechter Gewalt zu analysieren ist nicht neu. Hier ist ein kurzer Vergleich bestehender Projekte, die oft externe Daten (rechte MandatsträgerInnen, Immobilien oder Events) zusammen mit rechter Gewalt zeigen.

Projekt Zweck Up­todate? Zeigt externe Daten? Daten­Download möglich? Analyse­Download möglich?
Mut gegen Rechts Vorfälle Darstellung flüchtlingsfeindlicher Vorfälle ✔️
Apabiz rechtes Land Darstellung rechter Gewalt mit rechten Mandatsträger:innen ✔️
Topografie des Rechtsextremismus Interaktive Karte mit rechten Vorfällen, Immobilien, Meinungen in Bevölkerung ✔️ ✔️

Handlungsfelder

Hieraus ergeben sich zwei Handlungsfelder:

  1. Daten zu rechter Gewalt einfacher, schneller und strukturierter verfügbar zu machen: Hierbei geht es darum die bereits existierenden Chroniken maschinell lesbar zu machen und über eine API verfügbar zu machen. Es soll Journalist:innen, Forschenden und Interessierten einfacher gemacht werden sich mit der Thematik datenbasiert auseinanderzusetzen. Dies wird vom Prototype Fund Projekt Tatort Rechts angegangen.
  2. Die Datenarbeit der Beratungsorganisationen unterstützen: Die Expert:innen in Beratungsstellen sind selten Daten-Experten:innen - aber sie zeichnen oft seit Jahrzehnten rechte Gewaltvorfälle auf. Dort setzen wir an und wollen die Beratungsstellen ihre Daten zu nutzen und in Form von Grafiken und Karten aufzubereiten.

Was haben wir erreicht?

Wir haben ein Dashboard für Beratungsstellen erstellt. Dafür haben wir eine Shiny App gebaut, die rechte Gewalt aus Chroniken zieht (Scraping) und relevante Statistiken zum Vergleichen bereitstellt (Bevölkerungsdichte, Wahlergebnisse, Ausländer:innenanteil). Dieser Datensatz wird dem Nutzer serviert. Eine Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt kann sich diesen Bericht dann erstellen und hat schnell Karten und Grafiken zu Trends rechter Gewalt parat. Unsere Features:

Dies spiegelt auch unsere drei Ziele wider: Vorfälle einfach darstellen, Daten zu Informationen werden lassen durch Kontext und einen Einblick in Datenqualität liefern.

Eine Demo mit fiktiven Daten gibt es hier.

Ausblick

Im Moment können Chroniken aus drei Bundesländern visualisiert werden. Mit der Einbindung der API von Tatort Rechts können weitere Chroniken hinzugefügt werden. Im Laufe des Projekts haben wir mitbekommen, dass auch der Wunsch besteht, ähnliche Grafiken und Karten lokal zu generieren. Dafür bieten wir im Moment nur eine Dokumentation an. Der Wunsch, eine vordefinierte Chronik als Excel-Tabelle in die App einzuspeisen wurde uns auch geäußert, konnte aber nicht mehr implementiert werden.

Wir hoffen, in Zukunft näher mit Beratungsstellen zusammenarbeiten zu können um dieses Werkzeug gegen rechte und rassistische Gewalt im Einsatz zu sehen.

Danksagung

Wir haben während der Projektphase mit etwa einem dutzend Beratungsstellen Kontakt aufgenommen. Einige nahmen sich die Zeit um ihre Arbeit zu erklären. Wir danken diesen Organisationen aus Deutschland und der Schweiz. Außerdem Danken wir dem Prototype Fund, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, deren Unterstützung dieses Projekt erst möglich gemacht haben!


Fußnoten

  1. Der wissenschaftliche Korpus zum Anstieg rechter Gewalt in Deutschland ist groß. Einen guten und aktuellen Überblick liefern Aiman Mazyek et al.: “Rechtsextremismus in Deutschland” Kohlhammer Verlag, 2021. Unsere obige These wird dort, unter anderem, auf den Seiten 28-29 belegt. Weitere Zahlen gibt es in den Jahresberichten des VBRG. Der Bericht für 2019 wird in diesem TAZ Artikel gut zusammengefasst: “Denn seit 2010 hätten sich die Zahlen verdoppelt. Von den jetzt registrierten Taten waren außerdem 80 Prozent Körperverletzungen. Gerade bei den besonders schwerwiegenden Taten ist eine Zunahme zu beobachten. Und auch die rassistisch motivierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist um 14 Prozent gestiegen. „Die Angst bei den Betroffenen wächst“, sagte Porath.”

  2. Eine beeindruckende Analyse zu rechten Netzwerken auf Instagram wurde durch das Correctiv Recherchezentrum durchgeführt

  3. Ein aktuelle Studie der Bertelsmannstiftung zu rechtsextremen Einstellungen von Wähler*innen findet sich hier

  4. Eine kurze Zusammenfassung von Gewalt gegen Geflüchtete 2019 in Deutschland findet sich hier

  5. Das Werk von Ronan Steinke „Auf dem rechten Auge blind?“ beschreibt auf Seite 2, dass die Polizei oft zu spät oder gar nicht rechte Gewalt als solche Klassifiziert. Ronan Steinke zitiert einen terrorisierten jüdischen Restaurant-Betreiber in seinem Buch „Terror gegen Juden“ auf Seite 99: ‚„Wenn du 45 Anzeigen machst über die Jahre, und es wird nichts aufgeklärt, dann sagst du irgendwann: Das ist verschwendete Lebenszeit“.