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Wir ermöglichen digitale Beteiligungsverfahren für Bürgerinitiativen.
Decidim Berlin setzt sich mit der Übertragung der katalanischen Beteiligungsplattform Decidim ins Deutsche auseinander und will erprobte Partizipationsverfahren aus Barcelona prototypisch auf Berlin anwenden. Die Plattform decidim.de soll stadtpolitisch orientierten Initiativen ein Werkzeug bieten, um gemeinsam Positionen zu entwickeln und verbindlich einzufordern. Die Zielgruppe sind Initiativen, die einen gemeinwohlorientierten und commons-verbundenen Anspruch verfolgen.
Decidim Berlin setzt sich mit der Übertragung der katalanischen Beteiligungsplattform Decidim ins Deutsche auseinander. Erprobte Partizipationsverfahren aus Barcelona werden prototypisch auf Berlin angewendet. Die Plattform decidim.de will stadtpolitischorientierten Initiativen ein Werkzeug bieten, um gemeinsam Positionen zu entwickeln, diese zu kanalisieren und verbindlich einzufordern.
Wir sind ein Verbund aus zivilgesellschaftlichen Akteur:innen aus unterschiedlichen Disziplinen und Bereichen. Wir arbeiten überparteilich und unabhängig. Die Zielgruppe sind Initiativen, die einen gemeinwohlorientierten und commons-verbundenen Anspruch verfolgen.
Die Vision von decidim ist die digitale Interpretation und Umsetzung einer selbstbestimmten Gesellschaft, in der sich Menschen unkompliziert und nachhaltig für ihre gesellschaftlichen Ziele und Themen engagieren können.
Wir glauben, dass Menschen das grundlegende Bedürfnis haben, sich konstruktiv in Gestaltungsprozesse einzubringen, um die Welt um sie herum für sich und andere zu einer besseren zu machen.
Übergeordnete gesellschaftliche Ziele, wie Klimaschutz, Gleichberechtigung und der Digitale Wandel, wollen gemeinsam gestaltet und Pfade zur Erreichung im Dialog ausgehandelt werden.
Vielen Menschen ist Mitbestimmung zu lokalen Themen, wie der Gestaltung ihrer Umwelt und des sozialen Miteinanders, ein wichtiges Anliegen.
Digitale Werkzeuge im Einklang mit analogen Methoden machen neue Wege zur gesellschaftlichen Teilhabe möglich und lassen dabei von vielen Seiten getragene und akzeptierte Ergebnisse des neuen Miteinanders entstehen.
Decidim will eine nachhaltige Beteiligungskultur verankern. Hierfür überträgt sie erprobte Konzepte und Methoden („best practices“) aus dem Ausland, welche Menschen an gesellschaftlichen Entscheidungen in Form von ko-kreativen Prozessen beteiligt.
Vorbild sind Städte wie Barcelona, Madrid, Helsinki, Wien und andere, die in der jüngeren Vergangenheit ihre Bürger:innen an komplexen Entscheidungsprozessen beteiligten und so Pionierarbeit geleistet haben.
Decidim versteht sich als Teil der munizipalistischen Bewegung, wird konsequent aus Sicht der Bürger:innen gedacht und bindet Entscheidungsträger:innen mithilfe von bottom-up-Prozessen ein.
Decidim möchte den Wissenstransfer und -austausch fördern und Erkenntnisse im Rahmen seines Angebots an kommunale Akteur:innen weitergeben. Decidim versteht sich als europäisch ausgerichteter und kommunal agierender Think- and Do-Tank, der berät und gleichzeitig technische Infrastruktur bereitstellt.
Decidim Berlin beschreibt das Projekt, die Open-Source-Plattform Decidim (katalanisch: „Wir entscheiden“) in den deutschsprachigen Raum zu transportieren und für die Vernetzung und politische Handlungsfähigkeit stadtpolitischer Initiativen in Berlin nutzbar zu machen. Im Rahmen der Projektlaufzeit März 2020 - August 2020 wurden für die Umsetzung des Projektes folgende Meilensteine erreicht:
Mit den theoretischen Konzepten der rebellischen Städte (u.a. Harvey, 2013) sowie das Recht auf Stadt (u.a. Lefèbvre 2016) und deren Implikationen lassen sich aktuelle Verhältnisse und Entwicklungen in städtischen Ballungsgebieten einordnen. Während sich einerseits vorherrschende Tendenzen der Gentrifizierung und Neoliberalisierung im stadtpolitischen Kontext verhärten, erfährt andererseits eine links-progressive Bewegung in stadtpolitischen Fragen neue Bedeutung und entwickelt neue Ansätze. So hat „Barcelona En Comù“ als Vorreiterin des “Neuen Munizipalismus“ ein Beispiel geschaffen, das in anderen Städten weltweit Verbündete findet und zur Nachahmung anregt. Übertragbarkeit sowie Realisierungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten werden seit etwa 3 Jahren u. a. auch in Deutschland diskutiert.
In Barcelona geht die Munizipalistische Agenda auf die Gründung der progressiven Wahlplattform „Barcelona En Comù“ in 2014 zurück. Dort bildete sich eine sogenannte „confluencia“, ein links-progressives Bündnis bestehend aus Initiativen, Organisationen und Akademiker*innen. 2015 schlossen sie sich zu der neuen Partei „Barcelona En Comù“ zusammen, gewannen die Wahl und stellten die Stadtregierung mit der Aktivistin Ada Colau als Bürgermeisterin. Die Durchlässigkeit stadtpolitischer Verwaltung und eine Identifikation aktivistischer Praxen mit politischer Handlungsfähigkeit gelten seitdem als Paradigma für eine zeitgenössische emanzipatorische Politik, die „Neuer Munizipalismus” genannt wird. Sie steht den Auswirkungen einer nationalstaatlichen Politikordnung und marktorientierter Verwertungslogik in europäischen Großstädten entgegen.
Organisatorisch zeichnet sich der Neue Munizipalismus durch eine Transformation der „Art und Weise der Politikgestaltung“ (Zscharnack, 2018) aus, der Stadtteilversammlungen und Gemeinwesenarbeit, horizontale Entscheidungsstrukturen und das „Hacken“ und „Aneignen“ politischer Institutionen.
Die Frage, ob Strukturen und Praxen eines Neuen Munizipalismus auf Berlin übertragbar sind, ist aufgrund von aktuellen politischen Regierungskonstellation in den Vordergrund getreten. In diesem Zusammenhang zeichnet sich Berlin lokalspezifisch durch eine hochgradig organisierte Zivilgesellschaft aus, die sich vor allem „von außen“ an Gestaltung und Themensetzung im Bereich Stadtentwicklung beteiligt (KOORST Studie). Anders als in Barcelona besteht die politische Wirksamkeit stadtpolitischer Initiativen in Berlin vorwiegend in einer Protestkultur und darüber hinaus in der punktuellen Zusammenarbeit mit zuständigen Mandatsträger*innen und Sachbearbeiter*innen auf Bezirks- und Landesebene. Munizipalistische Ansätze be- und entstehen in Berlin vor allem im Rahmen von Volksentscheiden, welche bottom-Up mit breiter Beteiligung die Ausweitung oder Sicherung der kommunalen Infrastruktur erkämpfen. Eine gemeinsame (Wahl-)Plattform von Initiativen und anderen Organisationen besteht nicht und wird bisher auch nicht angestrebt.
Die Plattform Decidim kann symbolisch als digitale Materialisierung und Instrument eines „Neuen Munizipalismus“ begriffen werden. Im Bereich der digitalen Demokratie gilt die Plattform als progressives Best-Practice-Beispiel für die Umsetzung einer inklusiven und offenen Beteiligungskultur. Die Stadtregierung setzt die Plattform seit 2016 ein, um zum Beispiel die Schwerpunktsetzung in der Quartiersentwicklung zu steuern.
Decidim stellt vielfältige Informations-, Organisations- und Entscheidungsmodule zur Verfügung. Die Plattform bietet Organisationshilfe für interne Arbeitsprozesse - wie z. B. für Debatten, Stimmungsbilder, Planungsprozesse, Agenda-Setting und Dokumentation von Meetings - von Gruppen, Organisationen, NGOs und Vereinen. Decidim bietet Lösungen für Blogs, Newsletter und „starke“ Beteiligungsformate (die deliberative Erstellung von Vorschlägen) oder „softe“ Beteiligungsmodule (Umfragen und Bewertung), die für Parteien oder Verwaltungsinstanzen eingesetzt werden können.
Abbildung I: Module und Funktionen auf Decidim
Diese Pilotstudie konzentrierte sich auf die folgenden Fragestellungen:
Wie kommunizieren stadtpolitische Initiativen intern? Welche Instrumente zur internen Organisation und Kommunikation werden benutzt? Welche Bedarfe nach Vernetzung mit anderen Initiativen bestehen? Wann gibt es Momente politischer Kollektivität? Welche Instrumente der politischen Einflussnahme und Beteiligung werden von den Initiativen eingesetzt? Dabei stand die Frage nach der Leistbarkeit von Decidim im Fokus. Den Expert*innen wurde zusätzlich die offene Frage gestellt, welche Potenziale sie in einer Übertragbarkeit des Neuen Munizipalismus nach Berlin erkennen.
Zu diesem Zweck wurden qualitative Interviews mit sieben Schlüsselakteur*innen von bekannten stadtpolitischen Initiativen und Organisationen sowie fünf Expert*innen aus Politik und Verwaltung geführt. Die Interviews dauerten durchschnittlich ca. eine Stunde und wurden aufgezeichnet und transkribiert. Anschließend folgte eine Systematisierung und Kategorisierung der Antworten, um eine Inhaltsanalyse zu vereinfachen.
Die Antworten der Schlüsselakteur*innen können in folgender Tabelle zusammengefasst werden.
Tabelle 1: Bedarfe und Anwendungsfelder für Decidim.Berlin
Die Erfahrung der Befragten in Hinblick auf Herausforderungen bei digitalen Informations- und Kommunikationsprozessen innerhalb stadtpolitischer Initiativen zeichnet ein recht eindeutiges Bild. Demnach nutzen die meisten Initiativen zusätzlich zu persönlichen Treffen und Debatten eine Vielzahl von Kommunikationskanälen für internen Austausch und Debatten, meist E-Mail und/oder WhatsApp- oder Telegram-Kanäle.
„Es gibt Bedarf an einfach replizierbaren Tools. Nicht für die großen Fragen nach Beteiligung(smöglichkeiten) oder Hierarchie, sondern gerade am Anfang brauchen Initiativen viel Energie für eigene Kommunikationsstruktur. Das ist meistens von Zufällen abhängig und sehr unterschiedlich, über Kontakte, Maillisten, gemeinsame Server usw. Also ganz simpel: häufig und immer wieder genutztes Set an Tools um Organisatorisches zu vereinfachen.“ (Andrej Holm, HU)
„Ich bin in ziemlich vielen E-Mail-Verteilern und krieg massig E-Mails (…). Es ist Aufwand und es ist tatsächlich auch Arbeit, sich informiert zu halten und das ist auch etwas, was manche Leute nervt und abschreckt und so entstehen zum Beispiel auch Wissenshierarchien.“ (Konstantin, Bizim Kiez)
Wie die Zitate zeigen, kristallisieren sich in Bezug auf digitale Kommunikationen zwei Herausforderungen heraus, ein organisatorischer Aufwand und Informations- und Wissenshierarchien, die teilweise aufgrund ressourcentechnischer Diskrepanzen, vor allem in Hinblick auf zeitliche Ressourcen, bestehen.
Decidim schafft durch die Module “Debatten” und “Vorschläge” die Möglichkeit, gebündelt Diskussionen zu Themen zu führen, Kommentare zu Textvorschlägen einzuarbeiten und zu bewerten und Dokumentenanhänge auf der Plattform bereitzustellen. Insofern besteht das Potenzial von Decidim darin, übersichtlich Informationen bereitzustellen und so gegebenenfalls den Wissenstransfer und Entscheidungsfindungsprozesse nach flachen Hierarchien innerhalb einer Initiative oder Organisation zu erleichtern.
Im Förderzeitraum wurden diese Potenziale für die AG Sozialisierung von Wohnungsbeständen (https://whg.decidim.de) getestet. Die AG bestand aus ca 15 Teilnehmer*innen, die ein gemeinsames Policypaper zu diversen Schwerpunktthematiken formulieren wollten. Anstatt die inhaltliche Diskussion über E-Mail-Verteiler zu organisieren, bestand der Wunsch, Decidim für diesen Zweck zu testen. Das Feedback der AG Sozialisierung von Wohnungsbeständen lässt darauf schließen, dass trotz einer raschen Eingewöhnung Decidim nur unzureichend für gruppeninterne Debatten genutzt wurde:
„Mein Eindruck ist, dass die meisten der Beteiligten inzwischen einen relativ souveränen Umgang mit Decidim gefunden haben, auch wenn wir die Plattform vor allem zum Austausch der Dokumente und Protokolle nutzen. Die Diskussionen haben bisher vor allem in den Zoom-Sitzungen stattgefunden.“ (Andrej Holm, Koordinator AG Sozialisierung von Wohnungsbeständen)
Als weiteres Problem von stadtpolitischen Initiativen wurde Sichtbarkeit und Verbreitung von öffentlichen Events und Aktionen genannt, die bei den meisten Initiativen vornehmlich auf Facebook stattfindet. Als kritische Internetnutzer*innen wurde von den Befragten mehrfach kritisiert, dass die Plattform Facebook datenschutzrechtlich nicht den Anforderungen der Initiativen genüge.
„(…) wir brauchen eine digitale Infrastruktur, was sicher macht, dass unsere Daten nicht von irgendwelchen großen Firmen abgegriffen werden“ (Elizabeth Calderon-Lüning, Weizenbaum Institut)
In diesem Kontext wurde angeregt, Decidim als mögliche Open-Source-Alternative zu der proprietären Social-Media-Plattform in Erwägung zu ziehen und einen Eventkalender über Decidim zu entwickeln.
Als zweite Instanz wurden die Schlüsselakteur*innen gefragt, welche Herausforderungen und Potenziale in Hinblick auf das Ausbilden einer Infrastruktur zwischen Initiativen wahrgenommen werden. Eine solche Infrastruktur wurde vor allem als mögliche Lösung für eine mangelhafte Wissensvermittlung wahrgenommen. Eine zentrale Herausforderung stadtpolitischer Initiativen besteht demnach in der Abhängigkeit persönlicher Kontakte, wenn es um Expert*innenwissen und Erfahrungswerte entsprechender Personen geht. Vernetzung mit anderen wird daher als Erstes zum Zweck der Wissensaneignung angestrebt. Individuelles „Learning“ bei Initiativen, Vernetzung und Kontaktaufnahme mit relevanten Expert*innen bedarf meist zeitaufwändiger Recherchen.
In Decidim wurde vermehrt das Potenzial wahrgenommen, stadtpolitisches Wissen zu dokumentieren und anderen Initiativen verfügbar zu machen:
„Es kann ja sein, dass jemand, der vorher politisch noch nie tätig war, plötzlich meint eine Initiative zu gründen und sich dann erkundigen will, wen gibt es als potentielle Mitstreiterinnen und dann beeindruckt die Liste aller Initiativen liest, die es ja eh schon gibt - ich würde also nicht abstreiten, dass das auf Decidim Sinn macht.“ (Oliver Pohlisch, metrozones & Lause Lebt e.V.)
Decidim als entsprechender Wissensspeicher und Kompetenzzentrum würde demnach Zugang zu Erfahrungswissen erleichtern und Abhängigkeit von politischen Kontakten obsolet machen.
Als zweites Element auf der Vernetzungsebene wurde die Notwendigkeit punktueller Zusammenschlüsse beschrieben, um politische Forderungen durchzusetzen oder Problemlagen klar zu adressieren. Generell wurde als starkes Alleinstellungsmerkmal der stadtpolitischen „Szene“ in Berlin ein hoher Grad an Fragmentierung und Fokus auf die Umsetzung der eigenen Forderungen der jeweiligen Initiativen und Projekte identifiziert. Inwiefern dies als Herausforderung gedeutet oder vielmehr als Chance begriffen werden kann, wurde von den jeweiligen Interviewpartner*innen unterschiedlich bewertet.
„Ausnahmen sind aus meiner Sicht die Events und Kampagnen. Man kann das als defizitären Zustand beschreiben und dauerhafte(re) Strukturen fordern. Aber vielleicht braucht es eher die dauerhafte Option, dass solche Events und Kampagnen möglich sind, als eine tatsächliche Vernetzungsstruktur“ (Andrej Holm, HU)
Übergreifend wurde den stadtpolitischen Initiativen in Berlin eine Stärke der außerinstitutionellen Ausdrucksformen und politischer Mobilisierung zugeschrieben, die als „postautonome und postidentitäre politische Kollektivität“ (Vollmer, 2019) gefasst werden kann. In den letzten Jahren hat diese Art der politischen Kollektivität Ausdruck und Materialisierung beispielsweise in der Organisation und Durchführung der „Mietenwahnsinn-Demonstration“ gefunden. Aber auch partikulare Forderungen wie die Volksinitiative “Deutsche Wohnen & Co enteignen” können als punktuelle Vernetzungsmomente in Form von Kampagnen gesehen werden, die politische Schlagkraft entwickeln können.
„Das sehe ich vor allem in der Solidarisierung von Menschen, dass man gemeinsam größer Sachen stemmt wie zum Beispiel die “Mietenwahnsinn Demo” - dass sich ganz viele Initiativen auf einen gemeinsamen Nenner berufen und dadurch gemeinsam aktiv werden. Oder die großen Volksentscheide, die werden ja auch mitgetragen durch die vielen Initiativen. In den Volksentscheiden sieht man das Kernmoment in Berlin, in dem Munizipalistische Politik sichtbar wird.“ (Kuno, berlin vs. amazon)
Als weiteres Beispiel eines Kollektivitätsausdrucks und der „Zeitlichkeit“ (Andrej Holm) stadtpolitischer Interessensbekundungen wurden stadtpolitische Festivals genannt, die gemeinsam von den Initiativen und Projekten initiiert und durchgeführt wurden. Als Beispiel dienten das Urbanize!-Festival und die Experimentdays, die ebenfalls als Ausdrucksform einer politischen Kollektivität gelesen werden können.
Hier wurde in Decidim die Chance gesehen, punktuelle Formen der Zusammenarbeit und Kollaboration für politische Kollektivitätsbildung stadtpolitischer Initiativen zu unterstützen, sei es durch die Erarbeitung eines Wikis oder die programmatische Begleitung eines Festivals.
Wie Initiativen ihre Forderungen politisch umsetzen, kann oft abhängig von der entsprechenden Kommunikation in Politik und Verwaltung sein. Ähnlich wie in dem Punkt Wissensvermittlung, sind Initiativen meist auf persönliche Kontakte zu politischen Mandatsträger*innen angewiesen, um ihre Positionen auf politischer Ebene anzubringen und anzufordern.
„Es gibt einfach persönliche Kontakte, Kontakte natürlich zu Politiker*innen, die die politische Einschätzung teilen, das sind natürlich Linke, Grüne, SPD. Aber es bleibt meistens bei den Einzelpersonen und ist auch meistens so gewünscht, weil die Initiative sich selbst auch unabhängig halten möchte.“ (Konstantin, Bizim Kiez)
Decidim könnte eingesetzt werden, um ein kollektives Stadtprogramm „von unten“ zu verfassen und so ein emanzipatorisches Verfahren für politische Handlungsfähigkeit unabhängig von persönlichen Kontakten zu ermöglichen.
Auch allgemeine institutionalisierte Partizipation in stadtpolitischen Angelegenheiten wurde von den Befragten vor allem eher durch ein defizitäres Design traditioneller Beteiligungsinstrumente beschrieben.
„Ich bin ja ehrlich gesagt nicht diejenige, die sich besonders gerne um Bürgerbeteiligung kümmert, weil ich schon diesen ganzen Begriff grausam finde. Weil er natürlich Abbild von einem Politikmodell ist, welches Top-Down-Politik macht und dort wo nötig, Menschen informiert und beteiligt.“(Katalin Gennburg, MdA DIE LINKE)
Mehrfach wurde hier auf eine Scheinbeteiligungskultur in Stadtplanungsprozessen hingewiesen, in der Initiativen und Zivilgesellschaft keine echte Mitsprache erhalten. Dieses Paradigma der „kommunikativen Planungstheorie“ (Huxley/Yiltachel, 2000) beinhaltet scheinbar machtfreie Beteiligungsverfahren, die dann aber herrschaftsstützend (Roskamm, 2015) vor allem als Legitimationsquelle für (teilweise bereits getroffene) Entscheidungen fungiert.
„Es wird suggeriert, man habe Mitspracherecht und man wird angehört. Aber daraus folgt ja noch nicht, dass das, was man sagt, in Betracht gezogen wird. Ich glaube das ist ja sowieso eine insgesamte Kritik, dass wahnsinnig viele Leute viel Zeit in partizipative Prozesse stecken, nur um am Ende festzustellen, dass für sie am Ende selbst nichts bei rausgekommen ist. Sondern, dass das nur als nachträgliche Legitimation am Ende für Projekte dient, die sowieso am Anfang feststanden, wie sie am Ende durchgezogen wurden“ (Oliver, metrozones)
In der Übertragung auf digitale Beteiligungstools lohnt sich ein Blick auf die „offizielle“ Verwaltungsplattform “mein.berlin.de”, die seit 2015 von der Berliner Senatskanzlei eingesetzt wird. In einer Anfrage der CDU-Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner vom 27. März 2019 (Schriftliche Anfrage Nr. 18/18399 über “Öffentlichkeitsarbeit für die Beteiligungsplattform meinberlin”) wurde zurecht darauf hingewiesen, dass von ca 800.000 Ehrenamtlichen in Berlin, sich nur ca 10.880 Bürger*innen registriert hatten und die Plattform für Beteiligungsverfahren nur wenig genutzt wurde. Die Befragten äußerten sich eindeutig zu dieser Plattform:
„Ich glaube, das Problem von mein.berlin.de in Verbindung mit lokalen Initiativen ist einerseits, dass es extrem top-down ist. Es können da keine Formate oder Fragestellungen gemacht werden, die nicht von der Senatsverwaltung reingestellt werden. Es funktioniert auch aus einer Beteiligungssicht immer noch so, wie Berliner Verwaltung immer noch Beteiligung versteht.“ (Elizabeth Calderon-Lüning, Weizenbaum Institut)
Das Potenzial von Decidim kann hier als ergänzendes Gegenstück zu mein.berlin.de, als eine mögliche Plattform gesehen werden, auf der politische Initiativen emanzipatorisch Beteiligung „von unten“ einfordern und die Idee des Stadtprogramms (siehe oben) zu realisieren. Alternativ besteht die Option, mein.berlin.de um Elemente aus Decidim zu erweitern.
Als zusätzliche Herausforderung wurde die Intransparenz von politischen Verfahren und Entscheidungsstrukturen genannt und politische Zuständigkeiten als oft ungeklärt beschrieben. Hier wurde angeregt, Decidim als „Monitoring-Tool“ zu verwenden. Decidim verfügt über die Option, den Implementierungsprozess einer Forderung oder den Fortschritt eines Projektes zu dokumentieren. Daher besteht ein zusätzliches Potenzial von Decidim darin, während politischer Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen den Verlauf den Beteiligten transparent zu machen.
Abschließend wurde die Frage gestellt, inwiefern der Begriff „Munizipalismus/ Munizipalismen“ für die Vernetzungspotenziale und die beschriebenen neuen Aushandlungsräume der Berliner stadtpolitischen Initiativen adäquat ist. Zusammenfassend wurde diese Zuschreibung als eher ambivalent aufgefasst:
„Für mich bedeutet der Begriff eine stärkere Verschränkung von zivilgesellschaftlichen Initiativen und aktivistischer Arbeit mit bezirklicher bürokratischer staatlicher öffentlicher Körperschaftenarbeit. Es ist für mich ein sehr positiv besetzter Begriff.“ (André, CLT)
Auf der anderen Seite wurde angemerkt, dass ein Versuch, einen „Neuen Munizipalismus“ nach dem Vorbild in Barcelona durchzusetzen, an den lokalspezifischen Gegebenheiten in Berlin unwahrscheinlich erscheint:
„Wir haben aber immer schnell gemerkt, dass beim Versuch, Konzepte zu adaptieren, diese sich nicht eins zu eins übersetzen lassen. Meiner Einschätzung nach wäre zum Beispiel kein großer Mehrwert, wenn es eine wählbare Plattform von Initiativen wie in Barcelona geben würde (…). Trotzdem gibt in Berlin es einen großen Bedarf an Initiativen, Formen des Mitgestaltens und an Institutionalisierung und Implementation politischer Programme. Ich meinte ja bereits, dass in Berlin Initiativen eine Transformation vom Protest zum Programm gemacht haben. Es gibt außerdem eine Transformation vom Protest zum Projekt. Egal ob Programm oder Projekt als Fortentwicklung des Protestes, es geht bei beidem um das realpolitische Durchsetzen von Bestimmten Zielen und Ideen. Es geht bei beidem also schon darum, konkrete Politik zu machen“. (Andrej Holm, HU)
Allerdings lassen sich in Berlin durchaus Ansätze einer „Munizipalistischen Bewegung“ erkennen: In den vergangenen Jahren wurden in Berlin auf unterschiedlichen Ebenen Schnittstellen für gemeinsame Aushandlungsprozesse zwischen Zivilgesellschaft und der Berliner Verwaltung geschaffen. Projekte rund um den sog. „Dritten Raum“ werden dabei als Institutionalisierungsversuche von Ko-Produktion und Kollaboration in der Stadtentwicklung gesehen. Damit soll eine permanente Reform der lokalen Einflussnahme in Angriff genommen werden. Entsprechende Beispiele sind etwa der Runde Tisch Liegenschaftspolitik und das Initiativenforum, sowie die Errichtung der AKS Gemeinwohl auf Bezirksebene im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Diese Organe zielen darauf, einen dialogischen Lernprozess und politische Handlungsfähigkeit zwischen Verwaltung und Initiativen sowie zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteur*innen zu ermöglichen.
„Diese Räume sind eine Art Schlüssel dafür, dass man sagt, es gibt eine Organisationseinheit, die spiegelt das wider. Diese Augenhöhe, die hergestellt wird, von Politik, initiativen und Zivilgesellschaft, das heißt der Begriff Munizipalismus ist ein schillernder Begriff. Aber auch das Motto der Konferenzen, die in Barcelona organisiert wurden, die rebellischen Städte, das trifft es schon ganz gut: Dort, wo Städte sich gegen Verwertung verwehren oder gegen überkommene Strukturen“ (Florian Schmidt, Baustadtrat Friedrichshain-Kreuzberg)
In diesem Zusammenhang wurde vorgeschlagen, Decidim zukünftig als Instrument zu nutzen, um bestehende Institutionalisierungsversuche zu stärken und zu erweitern und z. B. die Arbeit des Runden Tisch Liegenschaften zu unterstützen, beispielsweise durch die Programmentwicklung, Dokumentation und Monitoring der halbjährlichen Treffen, in denen Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik und Verwaltung aufeinandertreffen, um über aktuelle Projekte und Problemstellungen der Liegenschaftspolitik zu diskutieren.
Aus den Beobachtungen und Einschätzung relevanter Schlüsselakteure der Berliner Stadtpolitik lassen erkennen, dass für die interne Organisation/Arbeitsprozesse der Initiativen alternative Open-Source-Plattformen geeigneter wären als Decidim.
Aus den Erfahrungen des Projektverlaufs ergeben sich folgende mögliche Projekte für Decidim Berlin:
Kuration und partizipative Programmerstellung eines Festivals, um der Zeitlichkeit stadtpolitischer Interessensäußerungen gerecht zu werden Erstellen eines Stadtprogramms „von unten“, um politische Einflussnahme unabhängig von Kontakten zu gestalten Begleitung und Unterstützung bestehender Institutionalisierungsversuche, um munizipalistische Praxen zu stärken. Neben diesen praktischen Anwendungsfeldern sehen wir ein großes Potenzial in einer vertiefenden Machbarkeitsstudie. Diese sollte die Interviews ergänzen, eine “aktivierende Befragung” unter den Initiativen durchführen und an wissenschaftlichen Forschungen (Scherner, in progress; Vollmer, in progress) zu städtischer Koproduktion von Teilhabe und Gemeinwohl anschließen.
Calderon-Lüning, E. et al. (2018): Projektstudie zum „Aufbau Einer Koordinierungsstelle für die Vernetzung und Kooperation von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Administrativen Strukturen im Handlungsfeld Stadtentwicklung im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg“, Studie im Auftrag des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg.
Harvey, D. (2013): Rebellische Städte. Vom Recht auf Stadt zur urbanen Revolution. Suhrkamp Verlag. Berlin.
Huxley, Margo/Yiftachel, Oren (2000): New Paradigm or old Myopia?, in: Journal of Planning Education and Research 19, S. 333-342.
Lefèbvre, Henri (2016 [1968]): Das Recht auf Stadt. Nautilus. Hamburg.
Roskamm, N. (2015): Planungstheorie aktuell. Von rational bis agonistisch. Eine Positionsbestimmung, in: Planer_in 6, S. 9-11.
Vollmer, L. (2019) Mieter_innenbewegung in Berlin und New York. Die Formierung politischer Kollektivität. Springer Verlag. Berlin.
Zscharnack, K. (2019) Der neue Munizipalismus. Regieren für ein Recht auf Stadt, in: Común, 01/2019, S. 20-21.
Eine offene Gruppe politisch engagierter Menschen hat sich im Frühjahr - vor Corona - mit der Idee getroffen, ein neues stadtpolitisches Festival nach dem Vorbild des Berliner urbanize! Festival 2018 auf den Weg zu bringen. Die Initiative besteht aus Menschen aus dem urbanize!-Organisationsteam und anderen Initiativen und Kreisen wie dem Festival für selbstgebaute Musik (Kollegen 2,3), der Lause Bleibt! Initiative, der AKS Gemeinwohl, der Stadt nach Acht Konferenz (Clubcommission), dem RAW, metrozones oder den Experiment Days (id22). Außerdem haben wir uns als Decidim-Team der offenen Gruppe angeschlossen.
Decidim soll es Initiativen und interessierten Gruppen ermöglichen für das Festival ihre eigenen Veranstaltungen und Aktionen über die Plattform einzubringen und so das Festivalprogramm partizipativ zu gestalten. Über Decidim sollen diese Vorschläge außerdem offen diskutiert und kommentiert werden. Die Festival-Initiative visiert als neuen Termin das Frühjahr 2021 an.
Im Rahmen des inhaltlichen Ablegers “United We Talk” des Formats “United We Stream” haben wir gemeinsam mit vielen anderen Aktiven eine Talksendung zum Thema “Stadt für Alle?” auf den Weg gebracht. Die Genese der Talksendung haben wir auf der Plattform “Decidim Berlin” begleitet.
Die Initiative für ein Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ mobilisiert für den Vorschlag, die Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen (mit mehr als 3.000 Wohnungen) zum Zwecke der Sozialisierung zu enteignen und in die Verwaltung einer Anstalt öffentlichen Rechts zu überführen. Der angestrebte Volksentscheid zielt auf einen Beschluss zur Enteignung und lässt die konkrete Ausgestaltung von Abläufen, Verfahren und Konditionen der Überführung größerer Wohnungsbestände und der damit verbundenen Entschädigungszahlungen offen. In aktuellen politischen und fachlichen Diskussionen wird deutlich, dass die Erfolgsaussichten für das Volksbegehren nicht nur von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, sondern auch von der wohnungswirtschaftlichen und finanzpolitischen Machbarkeit abhängen.
Die Arbeitsgruppe rund um Andrej Holm nutzt Decidim mit Unterstützung des Decidim-Team zur Koordination des internen Arbeitsprozesses.
[ Zur Arbeitsgruppe ]
(nicht öffentlich)
Die Crew des Torhauses auf dem Gelände des Temphofer Flughafens setzt sich für die kollektive Entwicklung der Flughafengebäude ein. Dafür vernetzt sie unterschiedliche Communities und verschafft sich mit bunten Aktionen viel Aufmerksamkeit. Eines ihrer Projekte ist z.B. der THF-Radio-Podcast wo auch das Decidim- bzw das Festival-Team bei Folge #16 zu Gast war. Gemeinsam mit der Torhaus-Crew arbeitet das Decidim-Team an Möglichkeiten eine Plattform zur partizipativen Entwicklung der THF Gebäude zu installieren.